Lieblingsgrenzen der Unendlichkeit

Ein verlorener Häuserblock und seine Jahreszeiten

Als ich im Oktober 2016 mein literatur- und kultur-wissenschaftliches Studium an der Ruhr-Universität Bochum begann, war dies nicht nur der Anfang eines ausbildungstechnisch wichtigen Lebensabschnitts - er bestimmte im Grunde genommen alles, was ich heute tue. Ich weiß nicht, ob ich begriffen hätte, dass die Lyrik weitaus mehr als nur eine Hobby-Rolle in meinem Leben verdient hatte, ob ich angefangen hätte, mich derart stark für bildende Kunst und Architektur zu interessieren. 

Was mir Bochum darüber hinaus gab, war eine aus dem vergrünten Beton geborene Inspiration - und einen dieser Geburtsorte möchte ich euch zeigen. Es müsste gegen Mai 2019 gewesen sein, als ich auf dem Weg von der Bahn den Häuserblock des Studentenwohnheims auf der Querenburger Höhe entdeckte - damals wusste ich noch nicht, was es für Häuser waren, doch die Entschlossenheit, mit der sie den Wald durchbrachen, weckte meine Aufmerksamkeit. Es wurde zur Tradition - an der fernen Haltestelle auszusteigen, über die Brücke zu laufen, anzuhalten und ein Foto zu schießen. Schnee, Regen, Sonne, Sturmwolken - ich wollte sie alle eingefangen haben. Als hätte sich der Name selbst aufgezwungen, nannte ich das seltsame Projekt seit Tag eins "Lieblingsgrenzen der Unendlichkeit". 

Im Sommer 2021 lernte ich schließlich meine beste Freundin kennen, die mich direkt nach dem ersten Treffen zu sich in die Wohnung eingeladen hatte. Als ich im elften Stock des Hauses ankam, begriff ich plötzlich, wo ich mich befand. Aus ihrem Fenster sah ich die Brücke, an der ich immer stehenblieb, um den vertrauten Häuserblock zu fotografieren. Ich befand mich genau auf der anderen Seite. 

 

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Elfter Stock 
 

Valentina sitzt auf ihrem Bett. 
Wieder ist der Abend kalt und fleckig
wie ein alter, löcheriger Teppich.
Draußen scheint das feuchte Stadtskelett.

Ihre Nachbarn weilen schon im Traum:
auch der elfte Stock braucht etwas Schweigen. 
Dort, wo sich die Sternbilder verzweigen,
schläft man fest umhüllt vom Himmelssaum.

Gegenüber ruhen Asphaltriesen,
eins der Fenster schimmert violett.
Trüber Stadtwind kitzelt die Karniesen.

An den Wänden mustern sich Gesichter. 
Valentina sitzt auf ihrem Bett. 
Draußen wird die Stadt schon wieder lichter.

 

 

Hier lässt sich das Projekt "Lieblingsgrenzen der Unendlichkeit" im vollen Umfang weiterverfolgen.

Liza Katáeva © Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten. 2023.